Prozess: Vier Maultaschen und ein kurioser Kündigungsfall

  1. Prozess: Vier Maultaschen und ein kurioser Kündigungsfall

 

Diebstahl oder übliche Praxis im Altenheim? Das Arbeitsgericht in Radolfzell am Bodensee verhandelte am Dienstag über die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin aus Konstanz. Sie soll ihren Job wegen ein paar Maultaschen verlieren, die sie eingesteckt hatte.

Die Maultasche ist eine vor allem im Südwesten hoch geschätzte Speise. Am Dienstag allerdings stand sie im Mittelpunkt eines spektakulären Arbeitsgerichtsprozesses in Radolfzell am Bodensee. Hatte eine 58 Jahre alte Altenpflegerin in Konstanz sechs Maultaschen eingesteckt, um sie mit nach Hause zu nehmen? Dies behauptet der Arbeitgeber, der deshalb der Frau im April

2009 fristlos kündigte. Nein, sagte die Frau, sie habe an einem hektischen Tag nur ihren Hunger stillen wollen und deshalb die Maultaschen von der Mittagsverpflegung der Altenheimbewohner genommen, wie es alle im Heim machten. Sonst wäre das Essen vernichtet worden.

Das Gericht verhandelte stundenlang und legte am Abend einen Vergleichsvorschlag vor. Die Klägerin solle 25000 Euro erhalten, die Kündigung sei damit zum 30. April 2009 wirksam. Einen früheren Vergleichsvorschlag, wonach die Konstanzer Spitalstiftung als Arbeitgeber 18000 Euro zahlen sollte, hatten im jüngsten Prozess beide Parteien abgelehnt.

Sechs etwas blässliche Maultaschen in einer Porzellanschüssel präsentierte der Anwalt der Stiftung, die das Heim betreibt. Diese waren sozusagen das symbolische Corpus Delicti. Und eine lange Diskussion um Temperatur, Brühegehalt und Schüsselgröße sorgte wenigstens zeitweise für eine gewisse Heiterkeit im Publikum. Doch der Kern der Verhandlung war ernster Natur. Richterin Sabine Adam sagte, es gehe hier nicht um den materiellen Wert der gefüllten Teigtaschen. Grundsätzlich rechtfertige so eine Handlung laut Bundesarbeitsgericht eine fristlose Kündigung, allerdings müssten die näheren Umstände geprüft werden.

Der Tatbestand der aus der Verpflegung entnommenen Maultaschen war von keiner Seite bestritten. Gestritten wurde um Motive und die Verhältnismäßigkeit. Die Klägerin, um deren Kündigung es ging, schwieg in der Verhandlung und ließ ihren Anwalt sprechen. Der meinte, man solle die Kirche im Dorf lassen. „Die Maultaschen wären im Müll gelandet.“ Bei der langen Beschäftigungsdauer von 17 Jahren hätte es nach dem Maultaschen-Klaus auch eine Abmahnung getan.

Der nur vorsichtig vorgetragene Verdacht, eine teure ältere Mitarbeiterin los werden zu wollen, wurde von dem Stiftungsvertreter vehement bestritten. Schließlich habe man mit der Pflegerin sogar einen Altersteilzeitvereinbarung abgeschlossen. Die Stiftung erklärte, es gebe eine ausdrückliche Anweisung, dass die eigenmächtige Wegnahme aus der Bewohnerverpflegung nicht gestattet sei. Diese Anweisung habe jeder Beschäftigte gekannt. Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, es habe sich klar um vollendeten Diebstahl gehandelt. Die sehr geduldige Richterin machte sich immer wieder für einen Vergleich stark, um den Beteiligten den Weg durch die Instanzen zu ersparen – vielleicht mit Erfolg.

Kündigungen wegen vermeintlicher Kleinigkeiten haben in den vergangenen Monaten für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Am bekanntesten ist der Fall der Berliner Kassiererin, der wegen des angeblichen Diebstahls eines Pfandbons im Wert von 1,30 Euro fristlos gekündigt wurde. Hier wird das Bundesarbeitsgericht endgültig entscheiden. In Friedrichshafen am Bodensee wurde am Jahresanfang einer Bäckerei- Verkäuferin gekündigt, weil 1,36 Euro in der Kasse fehlten. In diesem Fall wurde die fristlose in eine ordentliche Kündigung umgewandelt.

Ultime modifiche: mercoledì, 12 maggio 2021, 18:07